Texte zu Kontemplation, Besinnung und Gebet

eine Auswahl

ausgewählt durch Florian, Helmut, Roland, Sven und Thomas anlässlich unseres Frühstückgesprächs am 19.3.2011 - mehr hierzu in Geschichte 2011


5 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, damit sie von den Leuten gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt.

6 Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.

7 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen.

8 Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.

9 Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt.

10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.

11 Unser tägliches Brot gib uns heute.

12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Matthäusevangelium Kapitel 6, 5-13

 

 

Ich lasse mich dir, Herr, und bitte dich:

Mach ein Ende aller Unrast,

Meinen Willen lasse ich dir.

Ich glaube nicht mehr, daß ich selbst verantworten kann,

was ich tue und was durch mich geschieht.

Führe du mich und zeige mir deinen Willen.

Meine Gedanken lasse ich dir.

Ich glaube nicht mehr, daß ich so klug bin,

mich selbst zu verstehen,

dieses ganze Leben oder die Menschen,

Lehre mich deine Gedanken denken.

Meine Pläne lasse ich dir.

Ich glaube nicht mehr, daß mein Leben seinen Sinn findet

in dem, was ich erreiche von meinen Plänen.

Ich vertraue mich deinem Plan an,

denn du kennst mich.

Meine Sorgen um andere Menschen lasse ich dir.

Ich glaube nicht mehr,

daß ich mit meinen Sorgen irgend etwas bessere.

Das liegt allein bei dir. Wozu soll ich mich sorgen?

Die Angst vor der Übermacht der anderen lasse ich dir,

Du warst wehrlos zwischen den Mächtigen,

Die Mächtigen sind untergegangen. Du lebst.

Meine Furcht vor meinem eigenen Versagen lasse ich dir.

Ich brauche kein erfolgreicher Mensch zu sein,

wenn ich ein gesegneter Mensch sein soll

nach deinem Willen.

Alle ungelösten Fragen, alle Mühe mit mir selbst,

alle verkrampften Hoffnungen lasse ich dir.

Ich gebe es auf, gegen verschlossene Türen zu rennen,

und warte auf dich. Du wirst sie öffnen.

Ich lasse mich dir. Ich gehöre dir, Herr.

Du hast mich in deiner guten Hand. Ich danke dir.

 

Jörg Zink

 

 

Gott sagt nicht:

"Das ist ein Weg zu mir, das aber nicht",

sondern er sagt:

"Alles, was du tust, kann ein Weg zu mir sein, wenn du es nur so tust, daß es dich zu mir führt."

Martin Buber

 

 

 

Auf dem Weg der Aktion lernte ich das Phänomen 'Bruder" kennen und lernte begreifen, was Kirche bedeuten kann, Volk Gottes auf dem Weg durch die Wüste, immer noch lm Vollzug seines Exodus der Befreiung und der inneren Eroberung. Jene Zeit hat mir eine kostbare Erinnerung zurückgelassen und eine Menge Freunde, die wie ich das Abenteuer der Liebe durchlebt haben.

Dann geriet ich in eine Krise, die in mir die Krise der Kirche vorwegnahm und die sich ungefähr so ausdrücken läßt:

1. Verlangen nach Armut

2. Ablehnung der Macht

3. Unterscheidung zwischen Religion und Politik

4. Unmöglichkeit, das Evangelium mit irgendeiner Ideologie zu identifizieren.

Damals erlebte ich das massivste Eingreifen Gottes in mein Dasein und wurde mir bewußt, wie sehr er in mein Leben eingetreten war. Als ich ihm Fragen stellte, statt zu antworten, richtete er eine radikale Forderung an mich: 'Ich will nicht mehr dein Handeln. Ich will deine Liebe. Laß alles hinter dir. Komm mit mir in die Wüste. Ich werde zu deinem Herzen sprechen." Und ich ging in die Wüste.

Ohne die Satzungen der Kleinen Brüder gelesen zu haben, trat ich in ihre Kongregation ein.

Ohne Charles de Foucauld zu kennen, folgte ich ihm nach in die Wüste der Sahara.

Hier begann der zweite Abschnitt meines Lebens, das einzigartige Abenteuer der Wüste.

Wüste bedeutet Läuterung, bedeutet Schwelgen. Vor allem anderen bedeutet sie Armut.

Als ich von Europa aufgebrochen war, hatte ich alles verlassen. Ich hatte mein Schicksal in die Hände Jesu gelegt, der zu mir sagte: 'Verkaufe alles, was du hast, gib es den Armen und folge mir nach."

Ja, ich hatte alles verkauft, zumindest alles, was einen Verkaufswert hatte.

Indes, ohne mir darüber Gedanken zu machen, hatte ich ein paar dicke theologische Bücher behalten.

Die hatte ich nicht verkauft.

Ich hatte sie in einem großen Koffer mitgenommen, dort in die Dünen, Ich glaubte, diese Bücher seien mir unentbehrlich.

Hätte ich sie zurückgelassen, so hätte ich etwas verloren, was Gott selbst anging.

Die Vorstellung, die ich von Gott hatte, war in diesen Zeilen enthalten.

Ohne die Vorstellung, die ich mir von Gott gebildet hatte, hötte ich mich verloren gefühlt. Wie wenn Gott aus meinem Leben verschwunden wäre.

Und nun war ich dort lm Wüstensand vor der Eucharistie mit meinen Büchern. Sie waren wie ein Schützengraben, in dem ich mich verschanzte..., um zu beten,

Ich konnte stundenlang lesen, was 'man über Gott sagt". Mein Novizenmeister sagte zu mir: 'Laß doch die Termiten deine Bücher verspeisen. Du stell dich arm und nackt vor Gott hin."

Aber ich verstand das nicht.

Um es mich verstehen zu lassen, schickten meine Oberen mich zur Arbeit.

Hacken in der Oase bei 40 Grad Hitze ist nicht leicht. Nach einigen Stunden anstrengender Arbeit war ich fertig, Der Kopf brummte, der Rücken war krumm,

Auf allen Vieren kroch ich in die Fraternität zurück. Und als ich in der Kapelle auf der Strohmatte vor der Eucharistie kniete, war das einzige, was ich noch fertigbrachte, zu weinen.

Du bist hierhergekommen, um Gott zu suchen und zu betrachten, doch wie willst du es anstellen mit einem Kopf, der dir rasend weh tut, und von Müdigkeit so zerschlagen, daß du fast wie ein Tier bist? Wie willst du beten, wenn du so müde bist? Nun, Brüder und Schwestern, gerade in dieser Situation äußerster Armut habe ich eine neue Dimension des Betens entdeckt, die wichtigste, die ich kenne: die Kontemplation.

Mir war es, als würde sich im Heiligsten Herzen etwas wie eine Wunde öffnen, und ich verstand zum ersten Male, daß das Gebet nicht durch das Gehirn, sondern durch das Herz geht. Gott kannst du nicht mit dem Verstand festhalten, du erreichst ihn mit der Liebe.

Ich fühlte mich solidarisch mit allen Armen der Erde, ich fühlte mich im Chor mit allen denen beten, die nicht mehr zu beten vermögen, so müde sind sie.

Gott ist nicht mit den Reichen, mit den bequemen Leuten, die zum Beten hübsche Rasenflächen, lange Korridore brauchen.

Gott ist der Gott der Armen, der Mutter mit den vielen Kindern, die ihr um die Füße tanzen; der von der schweren Arbeit abgestumpften Bauern, denen es, wenn sie beten wollen, nur zu einem Seufzer reicht,

Alles war umgestülpt, und ich begriff, daß das wahre Gebet ein Akt der Liebe ist, dargeboten ' nachdem man die ganze Kraft des Daseins, all seine Möglichkeiten, den Brüdern zu helfen und sein eigenes Brot zu verdienen, dargeboten hat. Das ist etwas ganz anderes.

Ich sah, daß das wirkliche Gebet nicht aktiv, sondern passiv ist. Daß es mehr Schweigen ist als Worte-machen. Daß es mehr Kreuz ist als Kultur.

Die Wüste hatte mich beten gelehrt. Die Armut hat mir den Weg gewiesen,

Ich gestehe, daß ich nie mehr von der Wüste weggegangen wäre, so glücklich war ich, und so sehr fühlte ich mich verwirklicht. Aber ich wußte, ich würde eines Tages wieder heimkehren müssen.

Wir Kleinen Brüder betrachten die Wüste als eine Etappe, eine Pause im Leben, einen ganz bestimmten Zeitabschnitt, für die Suche nach Gott als dem Absoluten.

So war es ja auch bei Jesus.

Danach muß man zurück in die Stadt, zu den Menschen. Die Kirche ist nicht sehr für den Eremitismus als Lebenszweck, und sie hat recht.

Die Wüste, die uns erwartet, ist der Asphalt unserer Städte. Die Kontemplation, die wir suchen müssen, ist die Kontemplation auf den Straßen, So fand ich mich wieder in Europa. Mitten in der Krise der Kirche und der Welt.

Ich sah, was für eine große Gnade es für mich war, diese langen Jahre in der Einsamkeit der Sahara zu verbringen.

Wenn ich nicht mehr erschrak vor dem, was in der Welt vor sich ging, und vor dem, was in der weltweiten Krise zu Tage kam, so verdankte ich das der Einsamkeit, die mir Kraft gegeben hatte; und noch mehr Kraft hatten mir die Nächte gegeben, die ich auf den Dünen im Gebet verbrachte.

Nun bin ich hier, wie um das Thema meines Lebens abzuschließen. Im ersten Teil war das Handeln führend, Im zweiten Teil das Gebet. Jetzt versuche ich, die Synthese von beiden zustandezubringen, Im Grund geht es mir wie der Kirche, die gleichzeitig aktiv und kontemplativ ist.

Es ist für den Christen nicht mehr möglich, die beiden Seinsweisen zu trennen. Die Aktion genügt; ohne Gebet ist sie leer.

Das Gebet Iäuft Gefahr, zum Selbstbetrug zu werden, ohne den Einsatz in der Gemeinschaft der Menschen.

Schon J. Maritain hat es gesagt: "Was wir heute brauchen, ist die Kontemplation auf den Straßen."

Und das ist ein hinreißendes Abenteuer. Carlo Coretto

 

 

 

 

 

 

Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde,

da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen.

Zuletzt wurde ich ganz still.

Ich wurde, was womöglich ein größerer

Gegensatz zum Reden ist,

ich wurde ein Hörer.

Ich meinte erst, Beten sei Reden.

Ich lernte aber,

daß Beten nicht nur Schweigen ist,

sondern Hören.

So ist es: Beten heißt nicht,

sich selbst reden hören,

beten heißt, still werden und still sein

und warten, bis der Betende Gott hört.

Sören Kierkegaard

 

 

 

Wenn der Leib unaufhörlich

in Bewegung gehalten wird,

wird er müde.

Wenn der Geist unaufhörlich

in Bewegung gehalten wird,

wird er sorgenvoll;

und Sorge verursacht Erschöpfung.

Das Wesen des Wassers ist,

daß es klar wird,

wenn man es in Ruhe läßt,

und still,

wenn man es nicht stört.

Tschuang Tse

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Energie der Stille

 

Ein Mann hatte ein seltsames Hobby. Er sammelte Reden – all die großen Reden dieses Jahrhunderts: von Martin Luther King, Kennedy, Osho, Weizsäcker, Gorbatschow, Mitterand, Adenauer, Ché Guevara, Eisenhower und all die anderen. Diese Reden besaß er auf Bändern und Kassetten, und er hörte sie oft; aber je öfter er sie hörte, desto mehr fiel ihm auf, wie viel Energie in den Pausen steckte. Dem spürte er nach und kam schließlich – nach Jahren – dahin, dass er die Pausen aus all den vielen Reden herausschnitt und aneinanderklebte. Anschließend hörte er nur noch die Stille der Pausen und erfuhr in Minutenschnelle die geballte geistige Energie der großen Redner dieses Jahrhunderts.

 

frei nach Heinrich Böll

 

 

 

 

 

 

 

 

Die wichtigsten Lebensvorgänge geschehen in aller Stille.

Lautlos und still setzt eine Blüte Frucht an,

still wachsen die Bäume des Waldes,

still reift das Korn auf dem Felde,

still und ohne Getöse folgt der Tag auf die Nacht,

der Frühling auf den Winter.

 

Ernst Schmitt

 

 

 

Dreißig Speichen treffen die Nabe

 

Dreißig Speichen treffen die Nabe,

Die Leere dazwischen macht das Rad.

Lehm formt der Töpfer zu Gefäßen.

 

Die Leere darinnen macht das Gefäß.

Fenster und Türen bricht man in Mauern.

Die Leere darinnen macht die Behausung.

 

Das Sichtbare bildet die Form eines Werkes.

Das Nicht-Sichtbare macht seinen Wert aus.

 

Lao-Tse: Tao-Te-King

 

 

 

Wenn die Lippen geschlossen sind

 

Wenn die Lippen geschlossen sind, beginnt das Herz zu sprechen; wenn das Herz schweigt, entzündet sich die Seele, wird zur Flamme und erleuchtet das ganze Leben. Dieser Gedanke zeigt die große Bedeutung der Stille, und diese Stille wird in der Ruhe erlangt. Die meisten Menschen wissen nicht, was Ruhe bedeutet, weil sie nur ein Verlangen danach haben, wenn sie müde sind, während sie sonst nicht die Notwendigkeit der Ruhe erkennen.

 

(Hazrat Inayat Khan)